17
Dez
2006

ICH BIN EIN JÄGER -DAS GUTE BIN ICH

Ich bin ein Jäger
Das flammende Schwert
Trag Wissen so in mir
In so goldenen Büchern
Ich spreche das Urteil
Lass Fallbeile fallen
Und wenn sie dann fallen
Geht mir einer ab.

Sie wollten nie wissen,
Sie wollten nie lieben
Sie wollten nie sehen
Mich niemals nur spüren
Ich habe mich erfunden
Ich hab mich gebaut.

Sie wollten nur greifen
Und sanft mich erwringen
Die Säfte mir rauben
Sie wollten mein Grab.

Sie wollten mich nichten
Ich lebe auf Grenzen
Ich border
Ich leine
Jetzt greife ich an.

Fragil meine Sehnsucht
Ich will sie nicht spüren
Fragil meine Grenze
Über die ich nie schwapp.

Ich kenn keine Küste
Ich kenne nur Pfähle
Ich kenn keine Brandung
Ich kenn nur ihren Sarg.

Weil auf Büchern ich stehe
Auf goldenen Büchern
Unverhüllt nur mich tragend
Im Schweben durch Gruben
In denen sie leben
Sich paaren und stöhnen
In Eitelkeit suhlen
Wie Dämonen mich greifen
Mich greifen sie wollen
Und wenn ich sie abwehr
Geht mir einer ab:
Das Gute bin ich.

4
Nov
2006

ABENDGANG

Durch schmiege Nacht
Schweigt unser Schritt dahin
Die Hände bangen blaß um krampfes Grauen
Der Schein sticht scharf in Schatten unser Haupt
In Schatten
Uns!
Hoch flimmt der Stern
Die Pappel hängt herauf
Und
Hebt die Erde nach
Die schlafe Erde armt den nackten Himmel
Du schaust und schauerst
Deine Lippen dünsten
Der Himmel küßt
Und
Uns gebürt der Kuß!



Quelle: August Stramm: Das Werk. Hg. von R. Radrizzani. Wiesbaden 1963

28
Okt
2006

Nur Gedanken!

"So ist es wohl der Zweck jeden Satzes, einen Gedanken auszudrücken. Welche Gedanken drückt also zum Beispiel der Satz "Es regnet" aus?"

Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 501

... um dann auf mich zu stoßen!

"Richtig ist (...), daß wenn ich irgendwelche Zahnschmerzen wahrnehme, ich dann nicht erst fragen muß, wem die wohl gehören, um dann auf mich zu stoßen."

Herbert Schnädelbach, Satz und Sachverhalt, in ders: Analytisches und postanalytische Philosophie, Frankfurt/M. 2004, S. 221

24
Okt
2006

Das dunkle, verborgene Geheimnis - Teil 4

EIN MELODRAM

- von unserer Gast-Autorin Victoria Forsyth -



Es war nicht schwer, den Briefbeschwerer aus der Wohnung meines Chefs zu holen. Damit spielte er immer beim Telefonieren. Und es machte richtig Spaß, meinem Lover damit den Schädel einzuschlagen. Ich hatte ihn richtig hassen gelernt bei diesen ganzen widerlichen e-mails, die er an meinen Chef geschrieben hatte. Als würde das irgendjemanden etwas angehen, wie wir miteinander schliefen …

Die Gummipuppe, die war wichtig. Ich musste einen Auslöser inszenieren, einen Auslöser für die Tat. Musste meinen Chef verlassen. Das hatte natürlich mein Lover vorher per e-mail angekündigt: So, jetzt verbiete ich ihr, zu Dir zu gehen! Sie ist mir hörig! Und Du, Du hast sie nur ausgenutzt und betrogen!

Das war ein Auftritt! Er guckte entsetzt und verblüfft, als ich wie aus dem Nichts in seiner Wohnung stand und lautstark verkündete, ich würde mich von ihm trennen. So dass es schon irgendjemand mitbekam. Wo er doch gar nicht wusste, dass wir je zusammen gewesen waren …

Sie hielten ihn für irre, als er genau das später bei seiner Verhaftung behauptete. Mit all dem Lippenstift von mir an den Hemdkragen in seiner schmutzigen Wäsche und meinem Haar auf seinem Kopfkissen …

Er hatte mich halt gedemütigt. Er musste dafür zahlen. Dass er der Vater meines Kindes war, das habe ich ihm verziehen. Wir waren halt beide betrunken. Aber er war es, der darauf bestand, kein Kondom zu benutzen. Und ich – Gott, war ich blöd – ich war halt jung und sofort verliebt, beim ersten Kuss schon. Und von Lisa hat er nie erfahren. Nicht nach den Worten, die fielen, als er wieder nüchtern war …

Dass er mich beim Vorstellungsgespräch nicht wieder erkannte, das ging auch in Ordnung.

Aber dass er Lisa diese Krankheit vererbte – so was weiß man doch, dass man die hat. Dieser Mann sollte nie wieder eine bei einem One-Night-Stand schwängern. Der nicht.

- ENDE -

23
Okt
2006

LICHTEN

"Dort, wo ich meine Kindheit verlebt habe, gab es Gewohnheiten, die heutzutage keiner kennt, und es mag sein, daß sie heutzutage auch dort drüben aus der Mode gekommen sind.

Einer dieser Gewohnheiten war, im Winter zum "Lichten" zu gehen. Das hieß nichts anderes, als sich an den langen Herbst- und Winterabenden reihum zu besuchen, um bei Kaffee und Kuchen über den lieben Gott und die Welt zu reden, einander Geschichten und vor allem Märchen zu erzählen. Nun gab es damals in den Dorfstraßen aber noch keine Lampen, und deshalb hatte jeder sein eigenes Licht bei sich. Das war eine Henkellaterne, in der eine Wachskerze brannte.

Auf dem Hinweg mochte es gehen, da war die Dunkelheit oft noch nicht tief und dicht. Aber auf dem Heimweg!"


Barbara Bartos Höppner, Gruselmärchen, Stuttgart 1980, S. 6

22
Okt
2006

Das Klümpchen, der Plumpfuß und die Zwiebel

"Es muss eine Szene von höchster Merkwürdigkeit gewesen, als sich 1944, nur zehn Tage nach D-Day, dem Tag der Landung der Alliierten in der Normandie, in seinem Pariser Atelier die Prominenz der französischen Intellektuellen der Epoche, darunter Michel Leiris und der Doktor Lacan, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Albert Camus und Raymond Queneau, mit Picasso traf, um das von ihm verfasste Wie man Wünsche beim Schwanz fasst zur Aufführung zu bringen. Es ist, wie das drei Jahre danach entstandene Vier kleine Mädchen, eine szenisch-sprachliche Komposition, in der Situationen und Wörter nach der Automatismus-Methode Bretons zu allerhand aberwitzigen Eindrücken assoziativ aneinander gereiht werden.

Michel Leiris spielte die Hauptrolle eines lüsternen "Plumpfuß", Sartre den quirligen Part "Das Klümpchen", die Beauvoir eine durchgeknallte "Kusine", Queneau "Die Zwiebel". Zum Schluss sollte laut Bühnenanweisung im Hintergrund ein Fenster auffliegen und eine große goldene Kugel hereinsausen, die Personen sollten sich die Augen verbinden, mit dem Finger auf einander deuten und einstimmig "Du! Du! Du!" rufen. Dann hätten auf der Goldkugel die Buchstaben des Wortes "Niemand" sichtbar werden und der Vorhang fallen müssen."


Quelle: Peter Iden, Momente einer längeren Beziehung, Frankfurter Rundschau 22.10. 2006

Das dunkle, verborgene Geheimnis - Teil 3

EIN MELODRAM

- von unserer Gastautorin Victoria Forsyth -


So hatte ich mich noch nie gesehen. Meine Maskerade, die hohen Schuhe, die Kostüme, die rot gefärbten Haare – auf einmal schien sie auch mir selbst Inbegriff der Erotik zu sein.

Ich sah mir im Spiegel mein Lächeln genau an. Am Anfang sah ich nur verlebte Tragik. Sah Falten und noch die leiseste Macke an meinen Zähnen. Fand meine Augen nicht funkelnd und meine Haare stumpf.

Doch je länger ich mich da betrachtete, desto spannender fand ich meine Falten. Ich begann, sie zu zeichnen. War nach und nach völlig fasziniert von ihnen. Von den leisesten Veränderungen, ich feierte jede neue Furche. Drehte die Badezimmerlampe hin und her, um verschiedene Lichteinfälle zu studieren. Je schärfer die Konturen, desto schöner fand ich mich.

Die Polizei wird sich etwas gewundert haben, auf der Festplatte des Nachbarn endlose, total verliebte Beschreibungen der Falten der Geliebten des Nachbarn gefunden zu haben. Na, so Mörder sind halt wunderlich …

Jedes Mal, wenn er mich zusammenpfiff, dieser Drecksack von Chef, stellte ich mir seinen nächsten Eifersuchtsanfall per mail vor. Eine neue Variante des: Sie gehört mir! Laß sie in Ruhe! Sie gehört mir allein!

Schwierig war, die Antworten zu schreiben. Plausibel zu machen, warum die beiden überhaupt per e-mail kommunizierten. Und warum mein Liebhaber bereit war zu teilen. Ich erfand ihn als Schwein, dem genau das den letzten Kick gab. Den das anmachte. Und ich machte meinen Lover zu einem dreckigen Erpresser, der irgendwas von sexuellem Missbrauch wüsste. Und der einen Heidenspaß daran hatte, den Sex mit mir bis in’s Detail zu schildern. Damit angab, aufschnitt. Den Nachbarn zappeln ließ. Der verbale Giftpfeile im Treppenhaus abschoss und diese noch in jeder mail gleich dreifach wiederholte. So wie jene Leute, die die Pointe eines Witzes gleich drei mal, von Gelächter unterbrochen, wiederholen.

Die Transaktionen des Schweigegeldes führte ich am Computer meines Chefs aus. Der merkte das gar nicht, dass Geld fehlte. Und mein dämlicher Lover dachte, das sei weiter die Kohle für’s Putzen und es sei nur vergessen worden, den Dauerauftrag zu stoppen.

Es war nicht schwer, den Briefbeschwerer ...

- Fortsetzung folgt -

21
Okt
2006

WELTSCHMERZ '93, TEIL 1

Abschied

Fern von mir
im Lichte meines Sehnens
da steht die Schrift gemeißelt
purer Fakt.

Block aus Granit
er hat mich fast erschlagen
leicht hebt mein Sinn mich
über ihn hinaus
als Nebel, Dunst
und Wirre, als Leiber fest
Gefühl von Haut und Atem
ist Suche ohne Schwerkraft
sind Lippen, Sucht und leises Quälen
weiß nicht, wohin ...

WELTSCHMERZ '87, TEIL 2

Wüstenei

Inmitten der Sahara.
Nein, es regnet Glut und läßt mich gären:
Ich kann die Sonne nicht verehren!

Nein, ich sehe alle Richtungen
und geh hin.

Der Sand, der Sand,
der Himmel endet
kann keine Höhle tragen
inmitten der Sahara.

WELTSCHMERZ '87, TEIL 1

SCHATTEN

Ich tauch auf und überschatte
selbst die schönste Zuckerwatte
wird ganz grün und fällt zusammen
wenn ich komm und überschatte.

Bin kein Baum, bin Freudenkiller
jeder Schrei so schrill, noch schriller
unterm Regiment der Wolke
die ich bin, die euch umhüllt ....

20
Okt
2006

ERLÖSUNG

Wie ein Sprung.
Bricht sie durch
und erhebt sich
wie Schlummer
nach Sex
und so fühlt sie sich an.

So entspannt.
Und so warm.
Und so gut.

So entspannt.
Und so warm.
Und so gut.

Kartharsis ist sie
wenn ganz Schlimmes dann platzt
wie ein auf-, ein geschnittener Abzeß.

Eine neue Erkenntnis
nicht nur Ahnung, ein Ziel.
Das Erheben des Sich hin zum Du
und zum All.

Überall.
Überall.

Es ist wie Versöhnung
mit dem Mir und dem Dir
mit dem Sich und dem Ich und dem Du.

Es ist wie Erlahmen
vom Wider-, vom Stand
dieses Ich und des Sich und des Du.
Gegen Nähe und Wärme und die Freiheit vom Zwang
durch das Ich und das Sich und das Du.

Ist wie vollkommen sich öffnen
und sich dabei verlieren
wie beim Tod, der das Neu definiert.
Das ewige Leben.
Die Wiedergeburt.
Die sich offen- und -bart, verlöscht und verliert
und ganz friedlich sich zeigt.
Überall.

So ganz still.
Und so weich.
Und so gut.

Das dunkle, verborgene Geheimnis - Teil 2

- Ein Melodram -

von unserer Gast-Autorin Victoria Forsyth

Das war gar nicht so schwer, die Sache mit dem Nachbarn. Ich habe gute Beine, die Haare taten ein Übriges, und Männer sind ja immer spitz. Seine Frau hat ihn dann schnell verlassen, ganz so, als habe sie nur auf einen Anlass gewartet. Kein Wunder, ein lausiges Bürschchen. Ganz hübsche Figur, bübisches Grinsen, blond, sportlich – aber die Art, wie er Leidenschaft spielte, diese Posen, die so wirkten, als habe er Erotik-Magazin-Beiträge der 90er auswendig gelernt, dieser ganze, alberne 9 1/2-Wochen-Quatsch, ewig Sekt im Bauchnabel und sowas, lästig, was ein Laiendarsteller!

Mein Chef ist oft auf Dienstreisen. Es war nicht schwer, Dessous, Lippenstiftspuren, Haare, abgeschnittene Fingernägel wie unsichtbar in dessen Wohnung zu verteilen. Sein Nachbar hatte ja den Schlüssel. Zum Blumen gießen, und seine Frau hatte dort geputzt, so lange sie noch da war. Jetzt mochte sie das Haus nicht mehr betreten. Jetzt brauchte mein Liebhaber selbst ‚ne Putze. Ich bin ein toleranter Mensch, aber dieses verschimmelte Geschirr konnte ich nicht mehr ertragen. So habe ich ihm angeboten, Freitag nachmittags bei ihm zu putzen. Da habe ich frei, und er muss arbeiten.

Es war spannend, in der Wohnung meines Chefs rumzustöbern. Des Nachbars Wohnung war ja schnell geputzt. Zeige mir Deine Pornos, und ich sage Dir, wer Du nicht bist, lieber Chef.

Es machte Spaß, diese Droh-e-mails an den Nachbarn zu schreiben. Und die dann gleich anschließend in dessen Wohnung irgendwo auf der Festplatte zu verstecken. Eifersüchtige Tiraden habe ich verfasst.

Man entwickelt ein ganz anderes Verhältnis zu sich selbst, wenn man darüber nachdenkt, was wohl jemand in einer solchen Situation schreiben würde. In der Situation von jemandem, der rasend vor Eifersucht ist. Eifersüchtig, weil man selbst es mit dessen Nachbarn treibt.

So hatte ich mich noch nie gesehen. Meine Maskerade ...

- Fortsetzung folgt -
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